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Kulturforum Blaues Haus, Diessen – July 2009

Einführung von Sebastian Goy

Manchmal fragt man sich, was sinnvoller ist, eine Ausstellung
zu eröffnen oder zwei?
Diese Frage müssen wir nicht beantworten.
Genauso wenig wie wir die einzige Antwort geben müssen
auf die Frage, was Jakob Kirchheims Kunst ausmacht.
Wahrscheinlich gibt es viele Antworten und niemand kommt
darum herum, sie sich selbst zu stellen und nach einer Antwort
zu suchen.
Wozu heute Gelegenheit besteht.

Aber fangen wir es anders an.
Etwa so:

Wenn die Ziege hustet,
wird das Blaukraut zum Brautkleid,
Künstler scheiden sich von Künstlern
wie Schafe von Böcken,
der Schnitt wird zur Schnittfolge,
der Rhythmus der Schnittfolge zur Sinfonie,
zur Sinfonie bewegter Linolbilder.

Assoziationen und Anmerkungen – Jakob Kirchheim betreffend

Weit gereist, bringt er immer etwas mit nach Hause, und sei es
nur die Kirch heim ins Dorf.
Ins Gautingdorf, wo er groß wurde.
Auch wenn er längst in Berlin zuhause ist, wo er Größe
erreichte.
Dort zuhause ist, wo sich Künstler aus aller Welt hingezogen
fühlen.

Wo er, Dekaden zuvor, an der Hochschule der Künste Freie
Malerei studierte.
Und wo sich von 1995 bis 1999 ein Postgraduiertenstudium
anschloß.
Wer dabei herauskam?

Der Künstler Jakob Kirchheim

Der sich nicht nur in Berlin und Gauting, sondern auch in
Madrid aufhält.
Dort weilt, hier weilt,
mit dem Messer, dem Linolschneidemesser
die Welt seziert.
Im Bus von Madrid nach Valencia unterwegs,
Blitze imaginärer Schnitte,
aus denen Linolschnitte werden,
die dann zu einem Film mutieren,
zu einem seiner vielen Linol – Filme.
„Rutas simultäneas“, in dem ein Gedicht von Teresa Delgado,
die außerdem Jakob Kirchheims Frau ist, in umgekehrter
Fahrtrichtung mitreist:

„Treibhäuser.
Verlassene Dörfer.
Zerstörte Bauernhöfe.
Siedlung Atalaya.“
Und ein gewisser El Zorro im Tempo des Busses nebenher reitet.
„Blaugrauer Himmel. Schlachthöfe, Marmorlager, Wolken.
Nebel, Stille Windmühlen, Gelbbraune Erde.“

Galoppgeräusche El Zorros,
das Wiehern seines Pferdes,
das Brummen des Motors des Busses,
die Mitreisenden.
Das Mitreißende.
Wer den Esel schlägt,
dem schmerzt die Salami.
Vernissagen muss er viele ertragen, Jakob Kirchheim. Auch diese.

ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ

Er könnte diese 26 Zeichen aus dem Linoleum herausschneiden, virtuos herausschneiden mit seinem Schneidemesser, könnte seine eigene Einführung drucken. Wie dem auch sein mag, ist es gut, Techniken zu beherrschen, auch Techniken, die einen Vernissagen überleben lassen. Die heutige zu überleben sollte leicht fallen.

Jakob Kirchheim
stellt an vielen Orten aus,
zeigt auch an vielen, von Buenos Aires bis Berlin, seine Filme:

„Linolfilm“,
„Zurückbleiben“,
„Alfabet“, „Madrilenos“, „Kipp-Krise“,
„Geld oder Leben“,
„Linolbüro“,
„Die Prinzessin der zweiten Hand“,
„Kintopp in Afrika“,
„What’s up?“,
„Länder“,
„White Africa“,
„Buenos Aires polipoético“,
„Im Schnee“,

wie die Titel lauten,
in denen es um Schnitte geht,
um Filmschnitte und Linolschnitte.

Jakob Kirchheim? – Wer sonst!

Vernissage Vrnissage Vnissage Vissage
Visage
Die Visage einer Ausstellung.
Seiner Ausstellung
Ihr Gesicht.
Ein klares.
Ein Geheimes in der Klarheit.
Der hingetupfte Nebel in der Bodensenke
in einer klaren Sternennacht:

„Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar
Der Wald steht schwarz und schweiget
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.“

Matthias Claudius womöglich sein Pate? Weit hergeholt aus dem 18. Jahrhundert?
Mag sein. Aber zum einen dieser Vers des Claudius,
zum andern diese Linolschnitte des Kirchheim.

Jakob Kirchheim,
bei dem sich der Nebel hebt.
bei dem es
nicht wallt, wabert und wallt,
die Bedeutung nicht lallend lallt,
der Sinn von weit hinten verhalten nur hallt,
nur die Vermutung eines Hallens ist,
die Aftergeburt einer winzigen Ahnung von Hall,
als ob in der Halle eine x-beliebige Ausstellung wäre.

Nicht Jakob Kirchheims Ausstellung,
die sich durch Klarheit auszeichnet,
Nebel auflöst,
eine frische, wie von Regen gewaschene Bildlandschaft
hervorbringt,
dem Risiko der Verständlichkeit nicht aus dem Weg geht,
Bilder, Linolschnitte,
die den Sinn nicht scheuen,
dadurch Bedeutung hinter der Bedeutung gelingt.
Wer partout das Schaf angelt,
fängt noch lange keinen Kiemenatmer.

Jakob Kirchheim? – Das Wie.

„ ….Linolschnitte und Filme motiviert durch Alltags- und Reisebeobachtung/ die Beschäftigung mit medialen Themen und Kunstgeschichte/ Aus einem kontinuierlich wachsenden Linolschnitt-Archiv entstehen bildnerische Komplexe unterschiedlichster Stilistik/ die zu größeren Bildern, Serien oder Filmen zusammengesetzt werden/ Modularer Aufbau, das Prozeßhafte der ausgeschnittenen Form/ Überdruckung und Zustandsdruck sind Konstanten seiner Arbeit“…..erläutert er.

Und merkt zu seiner Linolbilderproduktion an:

„Ich versuche, mich dem „normalen“ druckgraphischen Prozedere einer fertig gedruckten Auflage zu entziehen. Oft definiert sich die Wiederholbarkeit eines Abzuges über den Zustand (Ausschnitt) der Druckform oder die verwendete gemischte Farbe und die Qualität des Abzugs. Bei Platten, die ich öfter abziehe, bin ich dazu übergegangen, das Datum der Unterschrift als Chronologie anzusehen. Bei den früheren Film-Drucken war alles Serie, die Platten wurden meist komplett ausgeschnitten und in mehrfarbige Phasen und Übermalungen aufgeteilt, später auch noch mit Fotokopien weiterentwickelt. Außerdem gibt es noch einen ganz anderen Umgang mit den Druckplatten, besonders in größeren Bildern, von denen auch hier einige hängen. Teilweise ist der Abdruck nur Form ohne Binnenschnitt, das Bild entsteht in der Kombinatorik und Uberdruckung, die Grenze zur Malerei ist offen bzw. fließend. Die Bandbreite reicht von kombiniert abstrakt figürlich bis zu ganz „ungegenständlichen“ Bildern. Durch den langen, komplizierten Produktionsprozess sind es Unikate, die rein handwerklich kaum wiederholbar sind.“

Jakob Kirchheim? – Er!

Wenn unser Blick die in Rot- oder in Blautönen gehaltenen
Linolschnitte erfaßt, die womöglich Kriegshandlungen zeigen,
meldet sich noch einmal der alte Pfarrhauspenner (wie ich ihn
in einer vergangenen Lebensphase geringschätzig glaubte
nennen zu müssen), Matthias Claudius:

„’s ist Krieg! S ist Krieg! O Gottes Engel wehre
Und rede du darein!
,s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was soll ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch‘ und ihre Nöten Freund, Freund
und Feind ins Grab Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Krön‘ und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
,s ist leider Krieg- und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein.“

Jakob Kirchheim – behaust in der Welt.
Wenn die Ziege hustet,
wird das Blaukraut vielleicht zum Brautkleid,
und Künstler scheiden sich von Künstlern
wie Schafe von Böcken
und der Schnitt wird zur Schnittfolge
und der Rhythmus der Schnittfolge zur Sinfonie,
zur Sinfonie der bewegten und uns bewegenden Bilder Jakob Kirchheims.
Was wird, wenn wir sehen können, hier sichtbar?
Der rote Faden von Jakob Kirchheims bisheriger Arbeit:
Roter Faden
Roter Fade
Roter Fad
Roter Fa
Roter F
Roter
Roter P
Roter Pu
Roter Pun
Roter Punk
Roter Punkt!
Der Vernissagenbesucher wird zum Käufer!
Was sonst?!
Mich imitieren Geht über studieren! Riesen und Zwerge,
macht Jagd auf die Werke!
Die Ausstellung, die auch eine Verkaufsausstellung ist, ist
beinahe schon eröffnet.

Sebastian Goy
Kulturforum im Blauen Haus, 3. Juli 2009