Einführung von Stephanie Gilles
Bereits zum vierten Mal, meine Damen und Herren, ist Jakob Kirchheim zu Gast in der Neuen Galerie.
Er zeigt neue Arbeiten und stellt das Künstlermagazin RUW! vor, in dem ebenfalls grafische Werke von ihm zu finden sind.
Jakob Kirchheims bevorzugtes Gestaltungsmittel ist auch im Jahr 2015 das Linoleum geblieben, ein Werkstoff, der im beginnenden 20. Jh. nicht nur ein beliebtes Material in der Bauhaus- Architektur war, sondern neben Holz auch zum geschätzten künstlerischen Werkstoff in den grafischen Arbeiten der Expressionisten avancierte. Lange vernachlässigt, kehrte der Linolschnitt durch Pablo Picasso zurück in die Künstlerateliers. Der Spanier, der ihn für sich entdeckte, wie alles, was er anfasste, kurz mal revolutionierte und so in den 50er Jahren zu einer neuen Blüte führte, war fasziniert von den Möglichkeiten dieses Materials, welches „schneller zu bearbeiten“ war als „Holz und weniger aufwändig zu handhaben als der Lithostein“.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass gerade im Zeitalter der Neuen Medien und der Globalisierung, in einer Zeit der zunehmenden Beschleunigung und Reizüberflutung die Technik des Linolschnittes wieder vermehrt Aufmerksamkeit erfährt und so den Zeitgeist bildnerisch umsetzt.
Linoleum ermöglicht ein zügiges, unmittelbares, gleichzeitig aber hochpräzises Arbeiten ohne großen technischen Aufwand. Es lässt sich im Vergleich zu Holz relativ leicht schneiden, ist geschmeidig, im Druck widerstandsfähig, ermöglicht satte Texturen und gleichzeitig klare und weiche Umrißlinien. Diese Materialeigenschaften kommen sowohl den Sujets als auch der Arbeitsweise JK entgegen. Motiviert durch Alltags- und Reisebeobachtungen sowie mediale und kunstgeschichtliche Themen, so der Künstler, entstehen situative Erinnerungsbilder in Kleinstauflage. Reminiszenzen, die wie Filmstills anmuten, oder auch in konstruktivistische Arbeiten münden. Ein modularer Aufbau, das Prozeßhafte der ausgeschnittenen Form, Überdruckung und Zustandsdruck, so beschreibt Kirchheim, sind immer wiederkehrende Konstanten seiner Arbeit. Die Magie der Werke des Wahlberliners liegt in den zu geronnener Zeit verdichteten Bildern wie „Busfahrt Barcelona- Valencia“ auf der einen Seite und in der Faszination der zu beweglichen Teilen avancierenden Bildkompositionen wie sie bei den Arbeiten „Gemalt, Gedruckt, Gezeichnet“, der Serie zum Thema „Grundfigur“ aber auch beispielsweise in der Grafik aus RUW II mit dem Titel „Director´s Cut“ zum Ausdruck kommen.
Womit wir bei den drei Künstlermagazinen wären, die in dieser Ausstellung erstmals zusammen präsentiert werden und darüber hinaus in Korrespondenz treten zu den prozesshaften Drucken und der Malerei Jakob Kirchheims.
Bereits die von Kirchheim gestaltete Einladungskarte gibt eindeutige Hinweise auf die Intentionen des Künstlermagazins. Ist sie doch gestaltet wie ein Splash Panel, jenes große Eröffnungsbild einer Comic- Story, welches einen atmosphärischen Einstieg in die darauf folgende Bildergeschichte liefert.
„RUW!“ ist eine Initiative des in Berlin lebenden niederländischen Künstlers und Druckgrafikers Hans Könings und leitet sich ab vom Namen jenes legendären Underground- Comic- Magazins „RAW“, welches der Amerikaner Art Spiegelman von 1980-1991 herausgab. Und RUW! ist, was RAW auch war: rau, roh, unmittelbar, empfindsam, grell, offen, rasant, subversiv, irritierend oder wie Hans Könings sagt: „RUW! sounds great, looks good an tastes like gasoline!“
Die hier gezeigten Künstlereditionen erschienen in einer Auflage von jeweils 50 nummerierten Exemplaren und beinhalten Originalarbeiten in unterschiedlichen Techniken von Linolschnitt, Malerei und Collage bis hin zu Fotografie, Fotokopie und Computergrafik. Jeder Künstler gestaltete zusätzlich zwei Blätter, die es ermöglichen, RUW so wie heute zu präsentieren: als Bildergeschichte in einer Ausstellung.
RUW gibt Künstlern eine experimentelle Plattform.
RUW feiert das serielle Malen, Drucken, Fotografieren und Collagieren.
RUW erzählt Bildergeschichten und schlägt mit ihnen einen Bogen in die Vergangenheit und zurück in die Zukunft. Die Themen der drei Magazine kreisen um „das plötzliche Einbrechen“ und die Verarbeitung des Unvorhergesehenen, beschäftigen sich mit dem unausweichlichen Fortschreiten der Zeit und reflektieren die Entwicklungen und Verstrickungen der Kunst,- und der Konsumwelt.
RUW ist ein Statement, so Könings. Eine Haltung, die sich aus dem künstlerischen Verständnis der Pop- Art, der Konzeptkunst aber auch des Surrealismus speist, und in ihrem vielschichtigen Nebeneinander von Arbeiten auf den Betrachter seltsam vertraut und doch gleichzeitig fremd wirkt.
Die Blätter des Berliner Künstlerkollektivs, zu dem Jakob Kirchheim auch gehört, bilden Zustandsbeschreibungen ab, setzen Wahrnehmungsprozesse in Gang und schaffen assoziative Bildzeichen, die sich in vielfältiger Weise rückbeziehen auf jene Zeit, in der viele der teilnehmenden Künstler ihre gesellschaftliche und politische Sozialisation erfahren haben: die 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Die Künstler spielen mit literarischen, historischen und kunstgeschichtlichen Bezügen. Versatzstücke und Attribute, die aus ihrem Kontext gelöst und neu zusammengesetzt werden, formen sich zu einer neuen Geschichte im Bild, zu einer Szene oder auch zu einer seriellen Darstellung.
Die Titel der drei Magazine „Tales of Ordinary Madness“, „Von Kleist“ und „Nach dem Danach“ bilden dabei das Narrativ, schaffen einen Gedankenzusammenhang und – für den, der es will, auch einen Interpretationsrahmen. Die Künstler machen ein Angebot. Es mit Leben zu füllen, ist Aufgabe des Betrachters. Er ist es, der assoziativ beginnt, Perspektiven zu beleuchten, aber auch zu wechseln, Gedanken mitzuteilen und Positionen auszuloten. Und unversehens wird er zu einem Teil der Bildergeschichte, eine Bildergeschiche, die im Frühjahr 2016 mit der vierten Ausgabe von RUW! ihre Fortsetzung finden wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Stephanie Gilles M.A. 27.11.15