Linoprints [and] Films – Painting [and] Objects

With Christoph Mauler, Neue Galerie Landshut – April/May 2007

Einführung von Franz Schneider vom 13. April 2007

„Baumarkt-Malerei“ betitelte eine Zeitung die Ankündigung dieser Ausstellung, und man ist hoffentlich nicht enttäuscht, wenn man vergeblich nach Arbeiten in Serviettentechnik, Seidenmalerei oder Window-Colors sucht.
Dennoch: der Baumarkt als Materiallager und heimlicher ästhetischer Wertmaßstab spielt durchaus eine Rolle in dieser Ausstellung. Bodenbeläge, Treppen, Kamine sind nicht nur Sujets, die wir in Christoph Maulers Bildern und Objekten wiederfinden. Auch das dabei verwendete Material wie gängiges Fugenacryl, Spachteln, Modellkarton, ist dem Baumarkt entnommen und nicht den Hochglanzkatalogen für Künstlerbedarf. Allerdings: wo die Baumarktmalerei der Aufhübschung des oft tristen Alltags dienen soll, so ist gerade dieses Alltägliche, Beiläufige, ja beinahe Banale der Untersuchungsgegenstand Christoph Maulers. In seinen Arbeiten setzt er rigoros Alltägliches, wie Fußböden, Bretter, Fugen um in bildnerische Objekte, gestaltet modellhaft weithin unbeachtete Umgebungsvariabeln, wie z.B. Reklametafeln oder Treppenhausfenster, deren Konstruktionsprinzipien als Form er offenlegt. Diese Offenlegung gilt auch und gerade dort, wo uns manche Arbeiten aus der Ferne geradezu wie Illusionsmalerei erscheinen, die eine unheimliche Tiefenwirkung haben, die unsere Wahrnehmung ins Unendliche schicken wollen. Geht man näher hin, so erkennt man das Gestaltungsprinzip, die Gitterstruktur, auf der die Kartonmodule kleben oder den rüden Farbauftrag, der das Fugenacryl geradezu reliefhaft auf der Leinwand schichtet, und den Witz, dass dieses Fugenacryl erst dort, wo es nicht aufgetragen wurde, die Fuge formuliert. Ganz nebenbei wird so die Frage formuliert, was eigentlich ein Bild zum Bild macht. Nicht nur so vermeidet Christoph Mauler jede Form der Sublimierung, sondern auch durch die Hängung der Bilder, die sich gegenseitig begrenzen und stören und so dem Erhabenen keinen Raum lassen. Gegen die aufgeblasene Ästhetik der Event- und Konsummaschinerie, die das Bild, das Kunstwerk für ihre Zwecke instrumentalisiert, steht hier so die betonte Beschränkung auf das Lapidare, Unprätentiöse. „Unsere Zeit ist so aufregend, daß man die Menschen eigentlich nur noch mit Langeweile schockieren kann“, meinte schon Samuel Beckett, der heute vor 101 Jahren geboren wurde, und der wusste, wovon er sprach. Gegen den Malstrom der unaufhörlichen Sinnesbombardierung setzt Christoph Mauler ein ruhiges, schauendes Innehalten, Wahrnehmen und Gestalten gerade des Alltäglichen, das uns umgibt. In den Kartonobjekten etwa wird es befreit von seiner gewohnten Umgebung und mit einer neuen, sinnlichen Materialität ausgestaltet. Durch das Übereinanderkleben mehrerer Kartonschichten entsteht eine neue Form von Realität, und der Spiegel, die Treppe, der Kamin fungiert für die assoziative Wahrnehmung des Betrachters, wie ein Votivgegenstand, als Versicherung der Welt und deren kurzzeitige Überschreitung, als Anker und Segel zugleich, und gibt ihm eine Autonomie des Wahrnehmens zurück.

Diese Re-Autonomisierung des Subjektes, die bei Mauler in der Konzentration auf das Beiläufige, das Lapidare, das Naheliegende geschieht, findet bei Jakob Kirchheim statt über die subjektive Wahrnehmung erfahrener oder vorgesetzter Wirklichkeit, wie sie etwa in der medialen Vermittlung von Sachverhalten, wie geopolitischen Themen oder zeitgeschichtlichen Vorgängen geschieht und die sich in Kirchheims Arbeiten immer wieder in indirekter, oft schriftlich verklausulierter Form äußert. Dabei wirken solche stark mit Bedeutung aufgeladenen Themen und Orte wie etwa New Orleans nach der Flut, die mexikanisch-amerikanische Grenze oder Bagdad-City nicht als Sujets tagespolitischer Betrachtung, sondern mehr als Protagonisten von vermittelter Bedeutung und mittelbar erzeugter Haltungen. Obwohl gerade die als „politisch“ zu bezeichnenden Arbeiten immer auf der Basis gründlicher Recherche entstehen, werden sie dann bewusst verändert, reduziert, collagiert und in einem Zwischenbereich von Fiction und Non-Fiction belassen, wo sie sich als abstrakte bildnerische Netzwerke wie auch als politisch konnotierte Kommentare lesen lassen. So ist etwa der Plan von Sadr City keineswegs maßstäblich richtig und in sich schlüssig, sondern besteht aus der Zusammenballung dreier Epizentren der Stadt, darunter die von Gropius gestaltete Universität; der Plan Bagdads besteht nur aus einer Collage der zahlreichen Autobahnkreuze und Verkehrsströme. Diese ausgesprochene Uneindeutigkeit betrifft auch den materialen Charakter der Arbeiten selbst: wo sie bei Mauler im Grenzbereich zwischen Malerei und Objekt stehen, bewegen sich bei Kirchheim die auf Stoff gedruckten und auf Keilrahmen aufgezogenen Arbeiten im Schwebezustand zwischen Druck und Malerei. Ein ähnlicher Zwischen-Zustand, nämlich der des Reisens, liegt der Serie von Linoldrucken zu Grunde, die nach Zeichnungen bei Autobusfahrten in Spanien entstanden. Das schnelle Skizzieren von Wahrnehmungsfragmenten, aus der Bewegung heraus, das Ineinanderfließen von Landschaftseindrücken, von äußeren Verkehrssituationen und Bus-Innerem kennzeichnen diese Zeichnungen. Deren spontaner Charakter wurde später ohne nachträgliche Glättung präzise auf Linolplatten übertragen. Gerade das „Verzeichnete“, das zwischen Abstraktion und Figürlichkeit Schwebende, gibt die Gleichzeitigkeit der Sinneseindrücke dieser Busreisen in ihrer Komplexität wieder. Diese Entstehungsweise beharrt auch eigensinnig auf der Wiedergewinnung einer subjektiven Wirklichkeit durch die unverstellte Wahrnehmung.
Natürlich ist sich Jakob Kirchheim der Problematik eines solchen Ansinnens bewusst: Was wir als subjektive Wahrnehmung wähnen, ist oft gefiltert durch Wahrnehmungsmuster, geprägt von persönlicher Erfahrung wie vom medialen Bilderstrom. Kirchheim unterläuft dies, in dem er sich aleatorischer, also zufälliger Verfahren als Grundlage für seine Linoldrucke bedient, wie etwa in der Serie Pflatsch, welche die Klecksränder von Monotypien und deren Überschneidungen exakt auf die Platte überträgt, oder bei der „Putz-Kolonne“, deren Strukturen auf der Grundlage einer automatisierten Wachsstiftzeichnung, gleichsam einer „ecriture automatique“ entstand, wie wir sie von Henri Michaux kennen. Ähnliches finden wir durchaus auch in den Zeichnungen der Busreise.
Wenn Kirchheim also hier einen subjektiven Bewusstseinsstrom einsetzt, so ist dies gleichwohl kein manichäisches Schwarz-Weiß-Ausschlussverfahren gegenüber einer überkodierten, medial vermittelten Wirklichkeit, sondern vielmehr deren Aneignung mit Hilfe eines künstlerischen Prozesses, der sich eben dieser Bilder bedient, um eine künstlerische Wirklichkeit zu schaffen. Dies gilt ebenso für Christoph Mauler. Beiden Künstlern geht es um Strukturen und Formen, die sie aus Fotos, Plänen, Filmstills, aus Gebrauchsobjekten oder architektonischen Situationen ableiten oder im bildnerischen Prozess erzeugen. Gemeinsam ist beiden im Ergebnis eine Art von Malerei, deren Methoden die Serie, das Arbeiten in Zuständen und Variationen (chronologisch, erzählerisch, Rapport) und deren „nicht-malerische“ Werkzeuge die Schablone, einfache Pappen und Baumarkt-Materialien oder Fußboden-Linoleum und Film sind.
Raster, Treppen, Böden, Landkarten, Fotografien, Filmstills oder Alltagsgegenstände sind einige der Motive, die sie auf ihre Tauglichkeit hin untersuchen, von denen sie Anregungen beziehen, die sie nah heranholen, die sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Bei diesem Heranzoomen stellt sich immer auch die Frage des Maßstabs -und es handelt sich dabei immer auch um eine Frage der Repräsentation – nicht nur des Betrachteten, sondern auch des Betrachters – ganz im Sinne der berühmten Karikatur von Ad Reinhardt, in der ein Betrachter zu einem abstrakten Gemälde abschätzig meint: „Ha, ha, what does this represent?“ und das Gemälde ihn zornig zurückfragt: „What do you represent?“ Angesichts einer immer abstrakteren Realität, deren mediale Vermittlung mehr und mehr auf die Zurichtung des Subjektes hin zu den Bedürfnissen einer übermächtigen Konsumkultur zielt, stellt sich natürlich auch die Frage der Repräsentation neu: Ob sie immer noch mit der großen Geste des „Mein Auto, mein Haus, meine Yacht“ beantwortet werden kann, oder – vielleicht auch bescheidener, unprätentiöser – neu formuliert werden muss wie etwa: „Mein Fuß, mein Boden, das Fenster, die Gießkanne…“, das ist eine Frage, die hier in der Ausstellung durchaus auch gestellt wird, deren Beantwortung aber dem Betrachter überlassen bleibt.

Am letzten Tag der Ausstellung (So. 6.5.07, 19 Uhr) wird Jakob Kirchheim ein Kurzfilmprogramm im Kinoptikum präsentieren, bei der neben Filmen auf Basis von Linolschnitten auch Arbeiten seiner Animationsfilm-Kollegen Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe aus Hamburg gezeigt werden. Im Anschluss findet ein Künstlergespräch mit Jakob Kirchheim statt.